Der NSU-Komplex in Hamburg – keine Aufklärung
Das Verhalten der Sicherheitsbehörden rund um den NSU-Komplex warf viele Fragen auf, die auch der fünf Jahre andauernde NSU-Prozess nicht klären konnte: Wie konnte es sein, dass der NSU trotz V-Personen des Verfassungsschutzes in seinem Umfeld und trotz der Hinweise auf ein mögliches rassistisches Tatmotiv jahrelang unentdeckt morden konnte? Welche Neonazis unterstützten den NSU in Hamburg?
Die Thüringer Neonaziszene, aus der der NSU entstand und unterstützt wurde, orientierte sich nicht nur an Konzepten aus Hamburg wie Anti-Antifa oder Freie Kameradschaften, sie las auch Terroranleitungen wie Eine Bewegung in Waffen. Bei geheim organisierten Demonstrationen und Rechtsrockkonzerten von Blood & Honour trafen die späteren Rechtsterrorist*innen Hamburger Neonazis wie Thomas Wulff und nahmen an Schulungen des Deutschen Rechtsbüro teil.

Das Deutsche Rechtsbüro und die Artgemeinschaft von Jürgen Rieger sollen 2002 neben acht weiteren Neonazi-Organisationen einen Brief mit Geld vom NSU erhalten haben, das dieser aus Banküberfällen erbeutet hatte. Bei dem Verantwortlichen der Neonazi-Zeitschrift „Der Weiße Wolf“ wurde ein solcher Brief 2012 bei einer Hausdurchsuchung gefunden. In Hamburg fanden dazu keine Hausdurchsuchungen statt.
Der Verfassungsschutz bezahlte 40 V-Personen im Umfeld des NSU. Warum der Geheimdienst nach eigener Darstellung dennoch nicht über die Morde des NSU informiert war, ist nicht vollständig aufgeklärt. Akten über V-Personen wurden 2011, nur wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU, von Verfassungsschützer*innen vernichtet. Darunter auch die Akte des V-Manns und Neonazis Michael See, der seit 1994 mit dem Geheimdienst zusammenarbeitete. See gehörte schon Anfang der 1990er-Jahre zu den führenden Neonazis in Thüringen und veröffentlichte Anleitungen zum bewaffneten Kampf. Nach dem Untertauchen des Trios meldete er nach eigenen Angaben dem Verfassungsschutz, er sei gefragt worden, ob er das Trio verstecken könne. Zur Zeit des Mordes an Süleyman Taşköprü war er in Norddeutschland aktiv und führte dort eine Veranstaltung mit einem SS-Mann und dem Rechtsterroristen Manfred Roeder durch.
In der bundesweiten Ermittlungsgruppe wandten sich Hamburger Ermittler*innen 2006 ausdrücklich gegen die Fallanalyse eines bayerischen Profilers, nach dessen Einschätzung die Täter*innen in der extremen Rechten zu suchen seien. Ebenfalls nicht aufgearbeitet ist, weshalb die Polizei Hamburg im Rahmen der Ermittlungen einen Wahrsager zurate zog.
Im Bundestag und in acht Landesparlamenten wurden zu den Verbrechen des NSU Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Die Hamburger Bürgerschaft wies jedoch Anträge auf die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mehrfach zurück und entschied stattdessen, dass die NSU-Verbrechen in Hamburg wissenschaftlich aufgearbeitet werden sollen. Damit ist Hamburg das einzige Bundesland mit einem NSU-Mordopfer ohne einen Untersuchungsausschuss.

Die Familie Taşköprü fordert weiterhin die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dieser hat gegenüber einer wissenschaftlichen Aufarbeitung weitreichendere Befugnisse, wie das Recht, Zeug*innen zu laden. Diese dürfen dann wie vor Gericht nur dann eine Aussage verweigern, wenn sie sich selbst belasten würden; ansonsten müssen sie in einem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen.