Straflosigkeit und Entpolitisierung bei rechter Gewalt
Die massive rechte Gewalt der 1980er- und 1990er-Jahre blieb für die Täter*innen oft ohne Konsequenzen. Zwar führte die jahrelange öffentliche Propagierung des Nationalsozialismus und die Leugnung der Shoah durch Hamburger neonazistische Funktionäre wie Michael Kühnen und Christian Worch zu mehreren Haftstrafen und dem Verbot der ANS, eine Vielzahl rechter Übergriffe wurde jedoch nie geahndet. Oft wurden Täter*innen gar nicht erst ermittelt – und wenn es zu Strafprozessen und Verurteilungen kam, waren die Strafen mehrheitlich niedrig.
Nicht nur seitens der Ermittlungsbehörden, auch in den Medien und der Gesellschaft wurde rechte Gewalt oft als Auseinandersetzung „rivalisierender Jugendlicher“ verharmlost. Dabei wurden sowohl die politische Dimension als auch die reale Bedrohungslage für Migrant*innen, Juden*Jüdinnen, Linke und queere Menschen ausgeblendet. Die Entpolitisierung rechter Taten zeigt sich auch im Umgang mit den Morden an Mehmet Kaymakçı und Ramazan Avcı:
Am 24. Juli 1985 erschlugen drei rechte Skinheads im Kiwittsmoorpark in Hamburg-Langenhorn Mehmet Kaymakçı mit einer Betonplatte. „Wir wollten den Türken fertigmachen“, sagte der beteiligte ehemalige Bundesgrenzschützer Frank-Uwe P. aus. Fünf Monate später starb auch Ramazan Avcı nach einem Überfall rechter Skinheads an der S-Bahn-Station Landwehr in Hamburg-Eilbek.
Vor allem der Mord an Ramazan Avcı war für viele Migrant*innen ein Schock. Einige Hamburger Politiker*innen zeigten sich entsetzt über den Rassismus, der sich darin offenbarte. Andere bestritten jedoch entschieden einen rassistischen Hintergrund der Taten und erklärten sie zu bedauerlichen Einzelfällen. Auch Polizei und Justiz gaben an, keinen politischen Hintergrund zu erkennen.
Im Prozess gegen die drei Täter, die Mehmet Kaymakçı erschlugen, behauptete der Staatsanwalt in seinem Plädoyer:
„Motiv für die grauenvolle Tat war nicht der Ausländerhaß. Sie war der furchtbare Endpunkt einer gewöhnlichen Wirtshausschlägerei. […] Jeder der Angeklagten hat seine persönlichen Probleme mitgebracht, die dann während des Geschehens exzessiv ausgebrochen sind.“
Zitiert nach: Hamburger Abendblatt, 11. April 1986
Auch im Fall des Mordes an Ramazan Avcıs wurde ein politischer Hintergrund durch den Polizeipräsidenten ausgeschlossen.
Fünf nach der Tat verhaftete Skinheads wurden nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags angeklagt. Sie erhielten Haftstrafen zwischen 1 und 10 Jahren. Neben Ralph L. mussten sich drei weitere Mitglieder der Skinheadgruppe Lohbrügger Army vor Gericht verantworten, darunter der jüngere Bruder des Hamburger Neonazikaders Thomas Wulff. Dieser Angeklagte kannte einen der ermittelnden Polizisten persönlich, da dessen Sohn ebenfalls Skinhead war.
Durch die Entpolitisierung, die mangelnde Strafverfolgung und die geringen Strafen machten Neonazis die Erfahrung, dass sie Menschen bedrohen und angreifen konnten, ohne dafür juristisch und gesellschaftlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Einige von ihnen sind bis heute aktiv.