Aufbau von Neonazi-Strukturen in Ostdeutschland
Der Zusammenbruch der DDR bot westdeutschen Neonazis ein unerwartetes neues Rekrutierungsfeld. Schon Anfang 1990 versuchten sie, in der damals noch bestehenden DDR Fuß zu fassen. Der Hamburger Neonazi Michael Kühnen verfasste im Januar 1990 einen „Arbeitsplan Ost“, in dem der systematische Aufbau rechter Strukturen in Ostdeutschland angeregt wurde.
Hamburger Neonazis halfen, Infrastruktur und Organisationen der extremen Rechten aufzubauen. So boten Anwälte wie Jürgen Rieger und später das Deutsche Rechtsbüro rechtliche Schulungen und Beratungen an. Andere Funktionäre organisierten Aktionen und stellten ihre Ressourcen zur Verfügung. In den Tagen vor dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen ließ der stellvertretende Vorsitzende der NPD-nahen Hamburger Liste für Ausländerstopp 100.000 Exemplare eines rassistischen Flugblattes drucken und in Rostock verteilen. Bei den dortigen Ausschreitungen wurden aus dem Wagen von Christian Worch per Funk Anweisungen erteilt. Die westdeutschen Neonazis trafen in den 1990er-Jahren auf viele Jugendliche, die offen für autoritäre und rassistische Weltbilder eintraten.
Auch die Konzepte der Anti-Antifa, der Freien Kameradschaften oder des rechtsterroristischen Führerlosen Widerstands, die Neonazis aus Hamburg erdachten und verbreiteten, wurden dort aufgenommen und umgesetzt. Bekannte Beispiele sind die Kameradschaften „Anti-Antifa Ostthüringen“ und der „Thüringer Heimatschutz“, aus denen der spätere rechtsterroristische NSU entstanden ist.
Die westdeutschen Neonazis stärkten in den 1990er-Jahren mit ihren Konzepten und Ressourcen die Jugendkultur der extremen Rechten in den ostdeutschen Bundesländern nachhaltig.