Ramazan Avcı
Am 21. Dezember 1985 verabschiedete sich Ramazan Avcı von seiner hochschwangeren Verlobten. „In spätestens einer Stunde bin ich zurück.“ Der 26-Jährige wollte sein Auto auf einem Gebrauchtwagenmarkt verkaufen, der Erlös war für ein Kinderbett vorgesehen. Auf dem Rückweg wartete er mit seinem Bruder Veli und einem Freund an der S-Bahn-Station Landwehr auf den Bus, als Skinheads aus der Gaststätte „Landwehr“ stürmten. Mit Reizgas wehrte er einen ersten Angriff ab. Seine Begleiter retteten sich in einen Linienbus. Als Ramazan Avcı auf die Fahrbahn lief, erfasste ihn ein Auto und schleuderte ihn zu Boden. Die Skinheads schlugen und traten auf ihn ein und verletzten ihn schwer. Trotz mehrerer Notoperationen erwachte er nicht mehr aus dem Koma. Zehn Tage nach seinem Tod kam sein Sohn zur Welt.

Ramazan Avcı wurde am 20. Dezember 1959 als viertes Kind seiner Familie in dem Dorf Gönen im Nordwesten der Türkei geboren. Er besuchte das Gymnasium in Isparta und machte eine Ausbildung zum Automechaniker. Als 22-Jähriger kam er nach Hamburg, wo auch seine Brüder Hüseyin und Veli lebten.
Bei einer Autowerkstatt in der Gluckstraße in Hamburg-Barmbek fand Ramazan Avcı Arbeit. Für die erhoffte Existenzgründung in der Türkei nahm er noch Nebenjobs an. Nach Feierabend putzte er in einem Bürohaus. Dabei verliebte er sich in seine Kollegin Gülüstan Ayaz. Das Paar wollte zur Hochzeit in die Türkei zurückkehren.

Ramazan Avcı starb drei Tage nach dem Überfall der Skinheads. Seine Verlobte schrieb danach ein Gedicht: „Ich habe meine Jugend nicht leben können, habe mein Kind nicht gesehen. Der vom Fremdenhass ermordet wurde: Ramazan Avcı.“ Sie benannte ihren Sohn nach seinem Vater.
2010 gründeten Aktivist*innen die Initiative zum Gedenken an Ramazan Avcı. Gemeinsam mit der Familie Avcı erreichten sie 2012 die Einrichtung eines Gedenksteins sowie die Benennung des Vorplatzes der S-Bahn-Station Landwehr in „Ramazan-Avcı-Platz“.
Gülüstan Ayaz-Avcı schilderte 2019 in der „ZEIT“:
„Ich schweige nicht mehr. Mittlerweile wurde der Platz, an dem Ramazan starb, nach ihm benannt, und es gibt einen Gedenkstein. Ich gehe oft dorthin, mache den Stein sauber oder lege Blumen hin. Das tut mir gut. Neulich ist dort eine ältere Frau neben mir stehen geblieben. Wir sind ins Gespräch gekommen. Ich habe ihr meine Geschichte erzählt und dann haben wir beide ein bisschen geweint.“
Zitat aus: ZEITmagazin, Nr. 49, 2019