Enorm gefragt: Die Ausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ – ein Rückblick

Der Zeitpunkt hätte passsender kaum sein können. Die neue Wanderausstellung über rechte Gewalt in Hamburg wurde am 19. Januar im Rathaus eröffnet – dem Tag, an dem die Kundgebung »Hamburg steht auf – Gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke« mit weit über 100.000 Teilnehmenden wegen des riesigen Andrangs abgebrochen werden musste.

Hintergrund war die allgemeine Entrüstung nach den Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremen im November in Potsdam mit führenden AfD-Politikern und Unternehmern.

Entsprechend groß war das Interesse an unserer vom 19. Januar bis zum 18. Februar 2024 präsentierte neue Wanderausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ und dem dazugehörigen Begleitprogramm.

Ausstellung nimmt alte und neue Nazis in den Blick

Die mit Unterstützung der Hamburgischen Bürgerschaft entwickelte Ausstellung erzählt auf 38 Tafeln die Geschichte rechter Gewalt in Hamburg seit dem Ende des Nationalsozialismus. Sie klärt über Weltbilder und Gewalttaten der extremen Rechten in der Hansestadt auf, nimmt Akteure und Netzwerke alter wie neuer Nazis in den Blick und zeigt, wie sich rechte Gewalt über die Jahrzehnte seit dem Ende des NS-Regimes ausprägt und entwickelt hat.

Denn obwohl Hamburg über Jahrzehnte hinweg ein Zentrum der extremen Rechten in der Bundesrepublik und immer wieder Ausgangs- wie auch Tatort rechter Gewalt war, ist diese Geschichte in der Hansestadt heute weitestgehend vergessen. Die Ausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ trägt dazu bei, diese verdrängte und vergessene Geschichte wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken und den Betroffenen und Hinterbliebenen von Opfern rechter Gewalt eine Stimme und ein Gesicht geben. Ergänzt wird die Ausstellung durch die Website „rechtegewalt-hamburg.de“, die parallel zur Ausstellungseröffnung freigeschaltet wurde. Die in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg sowie der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg entwickelte Website veröffentlich neue Forschungsergebnisse über rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen in Hamburg mittels einer Karte und einer Chronik.

Sehr großes Interesse bei der Ausstellungseröffnung

Bei der Ausstellungseröffnung war der Andrang so groß, dass viele lange auf Einlass warten mussten. Rund 480 Menschen folgten im Großen Festsaal des Hamburger Rathaus den Ansprachen von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, dem Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, Prof. Dr. Oliver von Wrochem, sowie den Kurator*innen Alyn Šišić und Lennart Onken. Die mit Spannung erwartete Hauptrednerin war Gülüstan Avcı, die Witwe des 1985 von rechten Skinheads ermordeten Ramazan Avcı. In ihrer kraftvollen Ansprache berichtete sie von dem Schmerz über den Verlust ihres Verlobten und Vaters ihres Sohnes sowie der Enttäuschung über die ausgebliebene Unterstützung und Anerkennung durch Staat und Gesellschaft. Zugleich forderte sie die Einrichtung von Erinnerungsorten für weitere Todesopfer rechter Gewalt sowie die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror in Hamburg. Sie drückte auch ihre Besorgnis über die aktuellen Entwicklungen aus:

„Ich hoffe, dass diese Ausstellung etwas dazu beiträgt, die Absichten von Rechtsextremen und Nazis nicht mehr zu verharmlosen. Ich hoffe, dass die Ausstellung die Menschen dazu anregt, die lebensbedrohlichen Entwicklungen im Lande ernst zu nehmen, sich gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus zu engagieren.“

Positive Rückmeldungen

Insgesamt besuchten rund 8.800 Menschen die Ausstellung während der vierwöchigen Präsentationszeit. Schulklassen und andere interessierte Gruppen konnten zweistündige Museumsbegleitungen durch Guides der KZ Gedenkstätte Neuengamme buchen. Auch hier konnte die große Nachfrage kaum abgedeckt werden. 15 Gruppen mit mehr als 300 Teilnehmenden wurden durch die Ausstellung geführt. Hinzu kamen mehrere Rundgänge in türkischer Sprache, die die Initiative zum Gedenken an Ramazan Avcı organisiert hatte.

Die Reaktionen der Ausstellungsbesucher:innen waren fast durchgehend äußest positiv und teils auch sehr emotional: „Großartig! Toll zusammengestellt!“ „Absolut erschreckend, was in Hamburg alles vorgefallen ist, das war mir gar nicht klar…“ „Mir kamen immer wieder die Tränen, das ist ja kaum auszuhalten!“

Vielseitiges Begleitprogramm mit zahlreichen Teilnehmenden

Ebenfalls stark nachgefragt war auch das dichte Begleitprogramm aus 16 Veranstaltungen unterschiedlichster Formate. Mehr als 1.100 Interessierte besuchten die Vorträge, Filmvorführungen, Diskussionsrunden, Stadt- und Kuratorenrundgänge. Auf besonders reges Interesse stieß die Vorführung des Dokumentarfilms „Der zweite Anschlag“ mit anschließendem Gespräch, die wir in Kooperation mit dem Abaton Kino realisieren konnten. Auch der Vortrag „Wiedergeburt der ‚Bewegung‘?“ über die Anfänge des Neonazismus in Hamburg in den 1970er-Jahren stieß auf großes Interesse. Der Vortrag von Daniel Gerster und Kerstin Thieler fand im Haus des Sports in Hamburg-Eimsbüttel statt und damit an eben jenem Ort, an dem 1974 eine internationale Versammlung der extremen Rechten 1974 eine wichtige Wegmarke gesetzt hatte. Zahlreiche Fotos von diesem Treffen und seinen Teilnehmern, etwa dem US-amerikanischen Neonazi Gary Rex Lauck und dem Holocaustleugner This Christophersen veranschaulichten die damalige Netzwerkbildung in Hamburg.
Ein besonderes Highlight war das Podiumsgespräch „Unvergessen. Erinnerung an die Todesopfer rechter Gewalt in Hamburg“ mit über 120 Gästen. Gürsel Yıldırım (Initiative zum Gedenken an Ramazan Avcı), Lee Hielscher(Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân und Überlebender des Brandanschlags in der Halskestraße), Cana Bilir-Meier (Initiative in Gedenken an Semra Ertan und Nichte von Semra Ertan), Talya Feldman (Künstlerin und Überlebende des antisemitischen Anschlags von Halle), Ibrahim Arslan (Politischer Bildner und Überlebender des rassistischen Brandanschlags von Mölln) und Daniel Manwire (Initiative zum Gedenken an Yaya Jabbi) diskutierten auf dem Podium lebhaft miteinander über die Notwendigkeit der Erinnerung an die Opfer rechter Gewalt und die oft schwierigen Bedingungen, unter denen Betroffene versuchen müssen, sich für ihre Forderungen und Wünsche Gehör zu verschaffen.


Eine Auswahl an Presseberichten über die Ausstellung:

Bericht des Hamburg Journals vom 19. Januar 2024
Bericht von Deutschlandfunk Kultur
Bericht von NDR 90,3 Kulturjournal
Beitrag der Hamburger Morgenpost
Bericht des Hamburger Abendblatts

Die von Alyn Beßmann-Šišić und Lennart Onken (beide Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Andreas Speit kuratierte Ausstellung wird als nächstes vom 18. April bis 18. Mai 2024 anlässlich der Woche des Gedenkens im Bezirk Mitte im Bezirksamt Hamburg-Mitte gezeigt.

Auch weitere interessierte Ausstellungsorte können die Ausstellung gegen Übernahme der Transport- und Versicherungskosten ausgeliehen werden.

  • Ausstellungstafeln im einem Saal, davor Menschen, die die Texte auf den Tafeln lesen und die Bilder anschauen
    Besucher*innen in der Ausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“. Foto: Hamburgische Bürgerschaft, Michael Zapf
  • Ein Mann und eine Frau hinter einem Rednerpult.
    Gülüstan Avcı und Übersetzer Tevfik Turan bei ihrer Rede anlässlich der Eröffnung von „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ im Hamburger Rathaus. Foto: Hamburgische Bürgerschaft, Michael Zapf
  • Ein Mann neben einer Ausstellungstafel, er deutet auf ein Foto, auf dem drei Männer zu sehen sind.
    Kurator Lennart Onken bei einer Führung in der Ausstellung. Foto: SHGL, Clara Mansfeld
  • Rücken von Zuhörenden, die Referenten stehen vorne.
    Kerstin Thieler und Daniel Gerster bei ihrem Vortrag im Haus des Sports. Foto: SHGL, Nino Turken
  • Menschen sitzen in einer Reihe auf einem Podium, vor ihnen sind bunte Quader auf den Wassergläser stehen und die das Wort remember ergeben.
    Teilnehmende des Podiumsgespräch „Unvergessen. Erinnerung an die Todesopfer rechter Gewalt in Hamburg“. Foto: SHGL, Iris Groschek